Spätzle



  • 500g Mehl
  • 5 Eier
  • ½ Teelöffel Salz
  • Ungefähr 200 ml Wasser
Es geht nicht eigentlich um das Rezept. Man kann kühn mit Muskatnuss und Maggi-Würze experimentieren oder leidenschaftlich über die Beimischung von Mineralwasser und Öl diskutieren - letztlich verrührt man lediglich Mehl mit Eiern, Salz und Wasser und braucht etwas Erfahrung, um die richtige Beschaffenheit zu erreichen.
Die Frage ist jedoch, ob Spätzle überhaupt zeitgemäß sind? Ob sie noch als Alltagsessen taugen, oder schon so eine Art heimische Erlebnisgastronomie geworden sind, bei der man einmal im Jahr, etwas nostalgisch verklärt, die Spätzle-Utensilien hervorkramt, und sich vor der Familie produziert? Als schwäbische Analogie zum messerschwingenden Sushi-Künstler, sozusagen. Um dann aber, der mangelnden Erfahrung wegen, doch etwas ängstlich ans Werk zu gehen, und heimlich schon die Aufräumarbeiten fürchtend. Mit Recht! Tage später muss man noch den hartnäckigen Mehl-Wasser Klebstoff an den unglaublichsten Orten abkratzen.
Die Zweifel reichen aber noch weiter. Schon die Frischeinudel aus der Tüte findet in unserem beschleunigten Tagesablauf nicht immer die notwendige Duldsamkeit. „17 -18 Minuten Kochzeit“ steht da wohlversteckt auf der Packung. Allzu oft verziehe ich nervös den Mund, und greife zu dem blauen Päckchen mit „cottura 8 minuti“. Das sind über 50% Effizienzsteigerung! Davon kann ich während des Bürotages nur träumen. 
Dann kommt allerdings der kleine Sohn, der fern von Schwaben aufgewachsen ist, aber mit solcher Inbrunst nach Spätzle verlangt, dass ich mich frage, auf welchen verwinkelten Wegen sich diese Begeisterung für hausgemachte Teigwaren ins kollektive Familiengedächtnis geschlichen hat? Vielleicht waren es die Erzählungen?

  
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Die Taste aus Bakelit sprang krachend aus ihrer Raste und das Wunschkonzert verstummte. Das Radio auf der Anrichte hatte einen eleganten hölzernen Rahmen, der Lautsprecher war mit einem grob gewobenen Stoff bespannt, und auf einer hellen Milchglasscheibe konnte man den Kurzwellensendern bis hinter dem Ural nachforschen. Jetzt war nur noch das langsame metallische Ticken der Standuhr zu vernehmen. Es klang als ob etwas Behütendes anwesend wäre. Solange die Standuhr tickte konnte man nie ganz alleine sein. So empfand ich es zumindest, wenn ich mitten in der Nacht im ungeheizten Gästezimmer erwachte und unter dem vertrauten Takt schnell wieder einschlief.
In der Zimmerecke stand frei der große Kachelofen und strahlte seine wohlige Wärme in den Raum. Im Ofenrohr wurden tagsüber die schweren kupfernen Bettflaschen gewärmt, und am Abend nach einem liebevollen Plan in kleinen Schritten unter den klammen Federbetten verschoben, um eine möglichst große Fläche zu wärmen. Das Fenster ging auf die gekrümmte Hauptstraße der kleinen Stadt und am Horizont konnte man schon die Fichtenwipfel einer nahen Anhöhe ausmachen. Die Standuhr schlug zweimal mit ihrem etwas verstimmten Geläut. Es mochte gegen halb zwölf sein. Essenszeit. Die Großmutter streckte kurz den Kopf zur Tür herein, „Ich hab noch Braten von Gestern, was möchtest du denn dazu? Spätzle oder Kartoffeln?“ Reis gab es bei meiner Großmutter nicht. Die Reiskörnchen, so hatte sie entschieden, passten nicht in ihren zarten Schlund, und hatten tatsächlich schon ein paar Mal beeindruckende Verschluckanfälle ausgelöst. Diese strenge reisfreie Diät hat sie bis ins hohe Alter durchgehalten, um sich, als sie schon weit über Hundert war, eine Existenzfrage ganz eigener Art zu stellen: „Ich bin nur gespannt, an was ich mal sterben werde?“.
Spätzle also. Was folgte war ein Akt der Essensbereitung, wie er harmonischer und authentischer kaum sein könnte. Da wandelten sich die ursprünglichsten Zutaten wie einem inneren Gesetz folgend zu einer Speise, die einfach nur stimmig war und anders eigentlich gar nicht sein konnte: Einen Becher Mehl abmessen, zwei Eier aufschlagen, mit spitzen Fingern gesalzen und aus dem Gefühl heraus solange Wasser einrühren, bis der Teig genau so vom Löffel lief, wie es überliefert worden war.
Die alte Frau hatte wunderbar weiche Arme, und ihre helle Haut war von feinen Fältchen übersät, fast wie Krepppapier. So zart war sie in ihren letzten Jahren geworden, dass ich manchmal nach ihrem Arm gegriffen hatte und plötzlich fürchtete, sie könnte vergehen. Jetzt aber stemmte sie die Teigschüssel in die Hüfte, packte mit gespannten Sehnen fest zu und begann energisch den Teig zu schlagen bis sich Blasen bildeten. „In die Spätzle gehört Armschmalz, sonst wird es nichts.“, sagte sie lachend.
Im diesem Haushalt gab es natürlich keine Spätzlepresse, und schon der abgeschrägte Spätzlesschaber mit dem aufgerollten Blechgriff wurde als neumodisch beargwöhnt. Die Großmutter nahm ein schweres Küchenmesser, wiegte es begutachtend im Handgelenk. Dann strich sie eine Portion Spätzlesteig auf das Handbrett, tauchte das Messer ins kochende Wasser, und streifte mit sicheren Bewegungen feine Teigröllchen in den brodelnden Topf. Im schnellen Takt folgten die Abwärtsbewegungen und dann kam wieder ein eleganter, langgezogener Aufschwung, der die Teigmasse in der richtigen Stärke neu auf das Brett zog.
Die gegarten Nudeln erschienen an der Oberfläche des Strudels, wurden aus dem Wasser gefischt und in einer Steingutschale warmgestellt, deren geschwungener Rand schon ein paar Macken hatte. Großmutter nickte zufrieden. „Da braucht man eigentlich kein Fleisch dazu“ meinte sie schmunzelnd. „Möchtest du Käsespätzle morgen?“.

Ja, morgen machen wir Käsespätzle. Wir nehmen uns die Zeit dazu. Und wenn wir dann zum Abwasch alleine in der Küche stehen, und eins ums andere Mal das Geschirr im milchigen Wasser schrubben, dann werden wir uns in Erinnerungen verlieren. Der kleine Sohn freut sich schon darauf. Der Enkel auch.

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